Jahrzehntelang gab es diesen exzessiven Historienfilm nur stark gekürzt: Nun erscheint der Skandalfilm uncut auf Blu-ray
Sidney Schering
Sidney Schering
-Freier Autor und Kritiker
Er findet Streaming zwar praktisch, eine echte Sammlung kann es für ihn aber nicht ersetzen: Was im eigenen Regal steht, ist sicher vor Internet-Blackouts, auslaufenden Lizenzverträgen und nachträglichen Schnitten.

Ein rätselhafter Tod, ein sich in der Sünde suhlender Thronfolger und viel, viel blanke Haut: „Die große Orgie“ ist ein skandalträchtiger, spekulativer Historienfilm – und ab sofort uncut sowie in HD im Heimkino erhältlich.

Der Regisseur Miklós Jancsó hatte ein Faible dafür, gewaltige Menschenmassen einzufangen. Ebenso reizte es ihn, sich Ereignissen aus der ungarischen Geschichte zu widmen, und dabei von Machtmissbrauch, Lust und gewaltsamer Unterdrückung zu erzählen. 1976, vier Jahre nachdem er bei den Filmfestspielen von Cannes für „Roter Psalm“ den Regiepreis gewann, fanden diese thematischen Vorlieben Jancsós auf provokante Weise zusammen:

Mit „Die große Orgie“ verantwortete er einen spekulativen Historienfilm über die rätselhafte Affäre Mayerling, die Geschichtsschreibung und Fiktion seit 1889 beschäftigt. Das führte zu Schwierigkeiten mit dem Gesetz und zu Problemen mit dem Jugendschutz – in Deutschland etwa wurde der Skandalfilm im Kino und auf VHS um über 16 Minuten Laufzeit geschnitten! Erst auf DVD erschien er hierzulande uncut, nun folgte ein Heimkino-Upgrade: Seit dieser Woche ist „Die große Orgie“ erstmals in Deutschland auf Blu-ray erhältlich – und zwar ungeschnitten!

Als Extras enthält die Edition eine Featurette über Jancsó, ein Interview mit Drehbuchautorin und Regieassistentin Giovanna Gagliardo sowie ein Interview mit Darstellerin Pamela Villoresi. Darüber hinaus enthält die Blu-ray ein 20-seitiges Booklet mit einem Essay von Prof. Dr. Marcus Stiglegger.

Darum geht es in "Die große Orgie"

Der österreichisch-ungarische Thronfolger Kronprinz Rudolf (Lajos Balázsovits) lebt in einer abgelegenen Villa und gönnt sich dort ein frivoles Leben voller Laster. Skandalöserweise hat er sich in die bürgerliche Sofia (Pamela Villoresi) verliebt – und führt nebenher eine sexuelle Beziehung zu seiner älteren Bediensteten Therese (Laura Betti).

Rudolfs Vater erachtet dieses zügellose, freigeistige Leben als Verspottung seines eigenen Puritanismus. Und tatsächlich hat Rudolf einen komplizierten Plan, um seinen Vater vom Thron zu stoßen: Dazu lädt er die Töchter und Söhne der einflussreichsten Familien des Kaiserreichs zu einem freizügigen, erotischen und provkant-rauschenden Fest in seine Villa – und lässt dabei die Fotokamera glühen...

Ein letztes Bacchanal vor einem mysteriösen Todesfall

Der Titel deutet es schon an: Die von Miklós Jancsó so geliebten, großen und bewegten Menschengruppen gibt es in „Die große Orgie“ in aller Ausführlichkeit und leicht bekleidet zu sehen. Einer anderen inszenatorischen Vorliebe entsagte der Regisseur dagegen weitestgehend: Anders als in vielen weiteren Filmen, verzichtete Jancsó bei der Umsetzung dieses Stoffes darauf, wiederholt minutenlang bei einer einzelnen Kameraeinstellung zu verharren.

Obszönität wurde dem Filmemacher aber auch vorgeworfen, ohne irritierend lange auf den entblößten Körpern zu ruhen: Nachdem ein italienischer Staatsanwalt „Die große Orgie“ sah, wurde ein Verfahren gegen Jancsó eingeleitet. Im ersten Anlauf verlor der Regisseur und wurde zu vier Monaten Gefängnisstrafe verurteilt. Jedoch ging er in Berufung und gewann: Menschen mit Expertise attestierten „Die große Orgie“, nicht etwa pornografisch zu sein, sondern Kunstkino.

Doch ganz gleich, wie ausschweifend, kunstvoll, anmaßend und/oder erregend man die Bilder der Orgien-Teilnehmenden denn nun findet: Im Zuge der malerisch ausgeleuchteten Zelebrierung einer körperlich ausgelebten, betont unprüden Zwischenmenschlichkeit wagen sich Gagliardo und Jancsó an einer potentiellen Antwort darauf, was letztlich im Januar 1889 auf Schloss Mayerling zum viel beschriebenen, nie konkret aufgeklärten Tod von Kronprinz Rudolf führte.

Ob man dies als ernstzunehmende Mutmaßung, als weitere Provokation oder als konsequente, aussagekräftige Klimax eines stark erotisierten, antiautoritären Historienfilms deutet, dürfte stark davon abhängen, in welchen Hals man das zuvor Gezeigte bekommen hat. Markant ist dieser Film aber zweifelsohne!

Provokant und exzessiv ist aber nicht nur „Die große Orgie“, sondern auch dieser kürzlich im Heimkino erschienene Fantasyfilm:

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